Die Abschreibung eines Gebäudes variiert je nach Baujahr, in der Regel beträgt sie 2% oder 2,5%, basierend auf einer festgelegten Nutzungsdauer von 50 oder 40 Jahren. Gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kann ein Steuerpflichtiger jedoch eine höhere Abschreibung geltend machen, wenn nachgewiesen wird, dass die tatsächliche Nutzungsdauer kürzer ist als gesetzlich vorgegeben.
Früher galt es als notwendig, ein aufwendiges Bausubstanzgutachten vorzulegen, um die verkürzte Nutzungsdauer nachzuweisen. Bereits 1971 urteilte der Bundesfinanzhof (BFH), dass absolute Sicherheit bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer nicht möglich ist. Das Urteil von 2021 (Az. IX R 25/19) stellt klar, dass auch einfachere und kostengünstigere Methoden zur Nachweisführung akzeptabel sind. Der Steuerpflichtige kann dabei auf jede geeignete Methode zurückgreifen, und ein Bausubstanzgutachten ist nicht mehr zwingend erforderlich.
Das BMF-Schreiben vom 22.02.2023 konkretisiert die Anwendung der Gerichtsurteile in der Finanzverwaltung. Zukünftig werden Restnutzungsdauer-Gutachten nur anerkannt, wenn sie von nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen erstellt werden. Zudem darf die ermittelte Restnutzungsdauer nicht bloß aus einem Verkehrswertgutachten übernommen werden; vielmehr muss der Zweck des Gutachtens explizit darin bestehen, die tatsächliche Restnutzungsdauer des Objekts nachzuweisen.
Das BMF-Schreiben kann durchaus als Versuch gesehen werden, den Nachweis einer tatsächlich kürzeren Restnutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG zu erschweren. Diese Bestrebungen durch die Forderung von bestimmten Nachweismethoden wurden jüngst in einem Urteil des Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023 als Widerspruch zur höchstrichterlichen Entscheidung des BFH (Bundesfinanzhof) gewertet.
Folgende Urteile der Finanzgerichte bestärken den interessierten Leser und ökonomisch denkenden Vermieter im Sinne der Steuergerechtigkeit die tatsächliche Restnutzungsdauer nachzuweisen und die Abschreibungspraxis entsprechend anzupassen:
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023 (Az.: 2 K 290/17)
Die Schätzung der Restnutzungsdauer von 28 Jahren im TÜV-Gutachten bewegte sich im zulässigen Schätzungsrahmen.
Das Finanzamt muss die Abschreibung der Immobilie auf 28 Jahre festlegen, da die im BMF-Schreiben geforderte Nachweismethode im Widerspruch zur höchstrichterlichen Entscheidung des BFH steht.
Urteile des Finanzgerichts Münster vom 14. Februar 2023 (Az. 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F)
Die Restnutzungsdauer für Mietobjekte kann nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) nachgewiesen werden.
Das Finanzgericht akzeptierte die Gutachten, die eine kürzere Nutzungsdauer aufgrund der Immobilienwertverordnung belegten.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. Oktober 2022 (Az. 6 K 1506/17)
Das Gericht urteilte, dass das Finanzamt bei vernünftigen und nachvollziehbaren Überlegungen des Steuerpflichtigen die Schätzung der Restnutzungsdauer akzeptieren muss.
Abweichend von der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren wurde aufgrund eines Sachverständigengutachtens auf 19 Jahre abgeschrieben.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. März 2022 (Az. 6 K 923/20)
Eine modellhaft ermittelte Restnutzungsdauer durch einen Gutachter ist ausreichend, um die Bemessungsgrundlage für den AfA-Satz zu begründen.
Ein Bausubstanzgutachten ist nicht notwendig, und das ERAB-Verfahren wurde als keine Voraussetzung zur Schätzung einer kürzeren Nutzungsdauer angesehen.
BFH-Urteil vom 28. Juli 2021 (Az. IX R 25/19)
Das Gericht betonte, dass die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens keine Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer ist.
Die Gutachtenmethodik darf nicht eingeschränkt werden, und die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere Nutzungsdauer kann verlangt werden.